Ich räume gerade meine Kleiderschrank auf. Besser gesagt: aus. Es fing damit an, dass ich eigentlich das Gegenteil wollte: endlich wieder andere Sachen tragen als die gleichen zehn ollen Teile, die mich durch die Schwangerschaft und die Monate danach begleitet haben. Ich hatte plötzlich irre Lust, zu shoppen und mich völlig neu einzukleiden. Trotzdem wollte ich erstmal sehen, was mein Kleiderschrank neben der Umstandsmodenschublade noch so hergab (Schwangerschaft = Gedächtnisverlust). Tatsächlich konnte ich mich an einiges, was ich aus der Garderobe zog, überhaupt nicht mehr erinnern. Peinlich, aber in manchen Teilen hingen noch die Preisschilder. Zweite Überraschung, weitreichender: die Teile, die ich wirklich wieder anziehen wollte, ergaben einen recht überschaubaren Haufen Kleidung. Also habe ich mich gefragt: Was brauche ich wirklich? Was passt noch von den Sachen, die ich habe (und nicht nur im Sinn von: über meine Oberschenkel)? Wer zum Teufel ist die Frau, die für mich zehn graue Sweatshirts gekauft hat?
Und ich habe mich gefragt, wie ich einkaufe. Manchmal ist die Antwort ganz einfach, weil mag, wie etwas an mir aussieht und wie ich mich darin fühle. Das erklärt auch die zehn grauen Sweatshirts (von denen ich drei wirklich brauche. Schön, vier). Nur eben nicht immer. Ein Kleid war eine Belohnung für eine harte Woche im Krankenhaus, die Stilettos habe ich aus London mitgebracht, denn aus London muss man schließlich was mitbringen, die Schlaghose gefiel mir an einer anderen so gut, dass ich sie unbedingt auch brauchte. Oft genug war der Grund, dass ich einfach etwas Neues wollte. Fast erwartbar, dass ich diese Teile am wenigsten oder nie trage.
Wenn ich jetzt den Überschuss verschenkt und verkauft habe, und bevor der kleine Kleiderhaufen wieder größer wird, habe ich mir vorgenommen, wieder mehr darüber nachzudenken, wofür ich mein Geld ausgeben will.
Vielleicht finde ich deshalb gerade so spannend, was die Journalistin Alex Bohn auf Fair-a-porter macht. Der Titel der Webseite ist Programm. Es geht um fair produzierte Mode und mich erstaunt, wie viel schöne und bezahlbare es davon gibt. Es geht aber auch darum, wie wir konsumieren, was man anders machen kann (oder sogar sollte) – ohne dabei auf den Spaß an Mode zu verzichten.
Aber das kann sie am besten selbst erklären.
Alex, was war der Anlass für Dich, Fair-a-porter zu gründen?
Ich fliege seit knapp zehn Jahren auf die internationalen Modewochen in New York, London, Mailand und Paris und freue mich jedes Mal wieder, wenn ich dort schöne neue Mode entdecke. Irgendwann ist mir aber aufgefallen, dass mich die Einseitigkeit des Spektakels stört: Gezeigt werden immer nur schöne Models, schöne Kleider, Stardesigner, junge Talente. Die Menschen, die hinter der Mode stehen bleiben unsichtbar. Das hat sich zusehends falsch angefühlt, ungerecht besser gesagt. Diese Menschen gehen ja auch in der medialen Berichterstattung komplett unter, es sei denn es ereignet sich eine Katastrophe wie Rana Plaza. Mit Fair-a-porter will ich das ändern und neben der schönen Mode auch die Protagonisten dahinter vorstellen. Das kann die CEO einer nachhaltig produzierenden Marke sein, ein Textilarbeiter oder die Designerin eines Labels. Mode ist kein anonymes Produkt, das einfach so vom Himmel fällt.
Welche Klischees über faire Mode treffen für Dich nicht zu?
Sie sieht aus wie das, was man auf dem Ökoweihnachtsmarkt bekommt: Gewalkte Filzmützen, kratzige Wollpullis und Socken, Kleider in Sackform.
Ich bin beim Lesen Deines Blogs immer wieder ehrlich überrascht, wie viele Marken es gibt, die „gut“ sind. Ist ein Problem grüner Mode, dass von den Labels selbst nicht genug Aufmerksamkeit für ihre gute Arbeit geschaffen wird?
Absolut. Wer nämlich nur einen Bruchteil seiner Kollektionen transparent und ethisch erstellt, der hat natürlich einen riesigen Anteil von Mode, die aus konventioneller Produktion stammt. Bewirbt man die „best practise“ allzu laut, steht der große Rest plötzlich in schlechterem Licht da. Ich glaube: Den Fragen der Verbraucher, die dann kommen könnten, wollen sich die wenigsten Marken stellen. Aber so ganz richtig ist das nicht, denn die Marken sprechen schon über das, was sie „gut“ machen. Sie tun es dann nur eher in ihren CSR-Berichten oder mit gezielter Pressearbeit. In den Läden selber wird das aber selten prominent ausgestellt. Selbst eine Marke wie H&M, die ja sehr engagiert ist, was Nachhaltigkeit angeht, ordnet die Capsule Collections wie „Conscious Denim“ einfach im Sortiment ein.
Wenn man den guten Vorsatz erstmal gefasst hat: Wie schafft man es im Alltag, ethischer einzukaufen?
Das ist eine Frage der Perspektive. „Ethisch“ zu konsumieren kann bedeuten, weniger zu kaufen und dafür hochwertiger und so den negativen Einfluss auf die Umwelt zu mindern. Es kann bedeuten, den eigenen Kaufentscheidungen mehr Gewicht beizumessen. Keiner zwingt uns, Produktionszusammenhänge zu unterstützen, die für Mensch und Umwelt schädlich sind. Mit jedem Kauf stimmen wir darüber ab, in was für einer Welt wir leben wollen. Das klingt hochtrabend, ist aber ein schlichter Fakt. Wenn keiner mehr bei Primark shoppt, geht Primark pleite. Allerdings müssen wir uns natürlich entsprechend informieren – und diese Lücke füllt Fair-a-porter. Bei uns weiß man, dass man die tolle Mode, die wir kuratieren, mit gutem Gewissen kaufen kann.
Hat sich Deine Art einzukaufen verändert, seit Du das Blog schreibst?
Nicht wirklich. Tolle Mode ist tolle Mode, da beginnt mein Interesse. Aber natürlich will ich heute genauer wissen: Woher stammt eigentlich dieses Teil. Woher sind die Materialien und wie wurden sie angebaut. Und wie transparent kommuniziert die Marke über ihre Produktion. Es ist oft schon hanebüchen wie wenig Infos Marken herausgeben. Was sich geändert hat ist, dass ich weniger Impulskäufe mache. Ich habe schon im Kopf, das jedes Ding, das ich shoppe dazu beiträgt, dass wir Rohstoffe verschleißen. Ich frage mich etwas energischer, ob ich etwas wirklich brauche oder nicht. Wenn ich im physischen Retail shoppe, lasse ich Sachen oft auf den nächsten Tag zurücklegen. Wenn ich sie nicht abhole – was meist der Fall ist – brauche ich sie auch nicht. Wenn ich online shoppe ist es ähnlich. Ich behalte wirklich nur noch Sachen, die mich wegen ihrer Ästhetik, Verarbeitung und ihres Tragekomforts überzeugen.
Was verstehst Du unter fairer Mode?
Um für Fair-a-porter ausgewählt zu werden, muss die Mode vor allen Dingen modisch überzeugen. Zusätzlich muss sie aus ethischer, transparenter Produktion stammen. Darunter verstehe ich, dass mindestens eins und bis zu vier der folgenden Kriterien erfüllt sind:
1. Nachweis der verwendeten Materialien, die zumindest anteilig aus zertifiziert ökologischem Anbau stammen müssen, oder aus recycelten Stoffen.
2. Transparenz und Nachweis einer umweltbewussten Produktion, die Maßnahmen einsetzt, die den Wasserverbrauch mindern, den Einsatz von Chemikalien drosseln, die Müllverwertung sinnvoll gestalten und erneuerbare Energien und Rohstoffe wie Recycling, Upcycling und Cradle-to-cradle einsetzen.
3. Langlebigkeit ist ein wichtiger Aspekt. Durch eine qualitativ hochwertige Verarbeitung und den Einsatz von hochwertigen Materialien ist die Mode auf Fair-a-porter keine auf Verschleiß angelegte Wegwerfmode.
4. Wir zeigen Marken, die Mitglieder in Nichtregierungsorganisationen sind oder Institutionen, die dabei helfen, die Lieferkette transparent zu gestalten und die ökologischen und sozialen Produktionsbedingungen zu verbessern und das in ihren Jahresberichten auch offenlegen.
Welche Designer überzeugen Dich mit ihrer Philosophie?
Ich bin ziemlich begeistert davon, wie kompromisslos Stella McCartney ihre Mode aus Naxhhaltigkeit schöpft. Sie ist ein gutes Beispiel dafür, wie spielend modischer Anspruch und ethische, transparente Produktion unter einen Hut passen. Das New Yorker Label Edun ist ein ähnlicher Fall. Als es „nur“ von Ali Hewson und Bono gemacht wurde, war es ein tolles Anliegen, aber das Design war langweilig. Jetzt ist seit einigen Saisons Danielle Sherman die verantwortliche Designerin, die auch schon für „The Row“ gearbeitet hat. Das Design hat einen Quantensprung gemacht – jetzt ist es toll UND eben nachhaltig produziert.
Wenn Geld keine Rolle spielt, welche fairen Labels würdest Du tragen?
Stella McCartney, Edun, Loro Piana, honestby.
Und wenn Geld doch ein Rolle spielt, welche dann?
Acne, manche Stücke von hessnatur, Filippa K, die nachhaltigen Kollektionen von H&M.
Danke, Alex.
PS Noch ein Projekt, das ich inspirierend finde: Make It Last von Emma Elwin und Lisa Corneliusson, zwei bekannte Bloggerinnen aus Schweden, deren Stil ich noch mehr bewundere, seit sie sich für nachhaltige Mode einsetzen.
Ein Kommentar
pi
hey marlene, danke für diesen tollen artikel!
ich kann deine gedanken zu dem thema sehr gut nachvollziehen und finde auch das interview und die arbeit von alex bohn sehr spannend.
seit ich mich als markt- und werbepsychologin auf die themen umwelt und nachhaltigkeit spezialisiert habe, hinterfrage ich auch privat immer mehr meine eigene und die allgemeine konsum-sozialisierung und das daraus resultierende konsumverhalten.
besonders im modekontext ist es sehr spannend, manchmal geradezu erschütternd,
die eigenen muster zu durchschauen.
genau wie du es beschreibst, wird auch mir immer mehr klar, wie oft ich aus fragwürdigen gründen konsumiere – ob belohnung, kompensation, langeweile, selbstoptimierung…jeder kennt seine eigenen gründe, ausreden und rechtfertigungen.
bei mir (und offensichtlich vielen anderen) akkumulieren sich diese gründe und die konsumakte zu einem kaufrausch, der es unmöglich macht, sich über einzelne anschaffungen noch lange zu freuen. und das ganze wird leider zusätzlich noch auf dem rücken der umwelt und anderer menschen ausgetragen. es ist wie das schlucken einer bitteren pille, dieses spiel zu durchschauen.
und es ist noch viel unbequemer und schwieriger, etwas daran zu ändern.
die hier von euch zusammengetragenen ansätze finde ich sehr wertvoll und auch für mich praktikabel.
– weniger und bewusster konsumieren
– nicht rein kommerzieller fast fashion hinterherlaufen, sondern in langlebige lieblingsstücke investieren, hinter denen noch echte menschen und designer stehen – im optimalfall mit einer vorbildlichen produktionsethik
– wenn das finanziell nicht stemmbar ist, vintage/second hand kaufen und die nicht mehr heißgeliebten sachen auch wieder in diesen zyklus zurückgeben bzw. spenden.
– sich immer wieder bewusst machen: dinge können einen niemals so glücklich machen wie erlebnisse, ein gutes gewissen und wertschätzende interaktionen mit anderen menschen, kulturen und der umwelt