Morgen. Morgen schreibe ich wieder was. Wenn ich diese 13 Mails beantwortet habe. Wenn ich alle Bilder wegbearbeitet habe, die Festplatte jault schon seit Tagen. Wenn ich mit der Telekom telefoniert habe. Wenn ich wegen des Kita-Gutscheins beim Amt war. Und danach bei meinem Steuerberater. Wenn ich was Hübsches auf Instagram gepostet habe, also nichts vom Amt oder aus dem Büro meines Steuerberaters. Wenn ich den Kleiderschrank zumindest so weit aufgeräumt habe, dass mein Look nicht mehr aus „Was oben lag“ besteht. Wenn ich Arlo davon überzeugt habe, mir nicht beim Aufräumen zu helfen, indem er alle Socken aus der Schublade holt, die ich gerade gerollt habe. Wenn wir auf dem Spielplatz waren. Wenn Arlo gebadet hat. Und schläft. Und ich mich eine halbe Stunde mit meinem Mann unterhalten habe, hey, mein Mann, wie geht’s Dir eigentlich? Wenn ich diesen Magazintext abgegeben habe, dann. Dann aber wirklich. Morgen.
Mein letzter Blogeintrag ist drei Monate her. Scheiße, vier. In diesen vier Monaten habe ich es Morgen nie geschafft. Die Überwindung wurde mit jedem Tag größer, bis ich darüber nachdachte, einfach gar nicht mehr zu schreiben. Aufzuhören. Das Blog war die eine Sache zu viel, neben der Arbeit, dem Kind, dem Leben. Das Bekloppte daran wäre bloß gewesen, dass ich mit Spruced mal angefangen habe, weil es keine Verpflichtung sein sollte, sondern etwas, das ich für mich mache, und für alle, die Lust haben, mitzulesen. Eine Zeitvertrieb ohne Deadlines. Ein Ort, an dem ich schreiben kann, wann und was ich will. Auch dann, als es durch die Werbung professioneller wurde. Doch zuletzt kam es mir immer mehr wie etwas vor, das ich auch noch schaffen muss. Und ich konnte nicht mehr.
In den letzten vier Monaten habe ich an einem Projekt gearbeitet, das jede freie Minute gefüllt hat. Das Timing wäre auch ohne Kind sportlich gewesen. So war’s ein unglaublicher Kraftakt. Warum habe ich ‚ja‘ gesagt? Genau zum Ende der Elternzeit und noch ohne Kitaplatz? Warum gleich der Ironman, wenn ich gerade erst wieder mit dem Laufen anfange? Das habe ich mich zwischendrin andauernd gefragt. Weil es eine tolle Chance war. Ich musste ‚ja‘ sagen, denn ein ’nein‘ hätte ich bereut.
Schon, weil ich wissen wollte, ob ich das noch kann, mit Kind: so richtig ranklotzen, durchackern, Nachtschichten schieben. Ich bin mir nicht sicher, wem ich damit etwas beweisen wollte, außer mir selbst. Vorher ging das ja auch. Ich habe immer viel gearbeitet, weil es mir viel bedeutete, mit etwas Geld zu verdienen, das mir Spaß macht. Es schien sogar besonders wichtig, mich zu verausgaben, eben weil ich daran Spaß hatte.
Ich würde jetzt gerne schreiben: es geht. Man kann alles. Denn schließlich bin ich mit dem Projekt fertig geworden. Ich habe es geschafft, die Müdigkeit im Bett liegen zu lassen und mich an den Schreibtisch zu setzen. Ich habe Emails einhändig getippt, während ich mit der anderen den Kinderwagen geschoben hab. Ich habe auf dem Spielplatz telefoniert und mitunter bis zwei Uhr früh geschrieben (und gehofft, dass Arlo länger schläft als bis fünf). Es hat funktioniert, weil James so oft aufgestanden ist, als Arlo doch um fünf Uhr wach wurde. Ohne ihn würde diese Familie sowieso nicht funktionieren. „Wie sind ein Team“, sagt er oft, und das hört nie auf, gut zu tun. Es hat funktioniert, weil wir eine Babysitterin haben, der ich circa die Hälfte meines Projekthonorars gezahlt habe und die alles davon verdient hätte. Es funktioniert, weil Oma und Opa einspringen können.
Dass ich, dass wir, es gewuppt haben, verdient keinen Sonderapplaus. Es kommt mir allerdings absurder denn je vor, dass irgendjemand annehmen könnte, Frauen arbeiten weniger hart, wenn sie auch Mütter sind. Ich war in den letzten vier Monaten so organisiert, diszipliniert, motiviert, dass ich als Fallbeispiel in Lean In auftauchen könnte. Vielleicht singt Sheryl Sandberg sich ja auch jeden Morgen duschaffstdasduschaffstdasduschaffstdaaaaas unter der Dusche vor. „Fake it ’til you make it“ – so beschreibt eine Freundin dieses Gefühl, erst recht an sich zu glauben, wenn man es gerade nicht tut. Ich glaube, nein, ich weiß, dass ich mir das öfter sagen muss, seitdem ich Mutter bin. Weil ich ständig die Befürchtung habe, dass ich mich an einem der vielen Eisen, die ich im Feuer hab, irgendwann gehörig verbrenne.
Ich kann also schreiben: es geht. Mit dem Zusatz: Kann mal bitte einer den Rotwein einschenken? Denn, Alter, bin ich erledigt. Wirklich gemerkt habe ich es, als wir im Juni in den Urlaub gefahren sind und ich am zweiten Tag, in dem wunderschönen Haus, das unsere Freunde gefunden hatten, mit der Kamera durch den Garten gegangen bin, um mal wieder Bilder nur so für mich zu machen – und nach zwei, drei Schnappschüssen keinen Bock mehr hatte. Null. Ich war schlicht leer, von Energie, von Kreativität, von Lust. Ein saublödes Gefühl, weil ich es normalerweise liebe, Bilder zu machen.
Es geht nicht, ständig nur auszuschenken und nicht nachzufüllen. Das klingt nach Selbsthilfebuch, das macht es für mich aber nicht weniger wahr. Seit diesem Tag habe ich versucht, mir mehr Zeit zu geben. Nein, zu nehmen. Dafür, nicht zu optimieren, sondern präsent zu sein. Dafür, auf dem Spielplatz mit meinem Kind zu spielen und erst danach den superdringendwichtigen Anruf zu machen. Dafür, mit meinem Mann auszugehen. Dafür, 15 Minuten genau nachzulesen, was eigentlich bei Ben und Jen los ist, bevor ich mit der Arbeit anfange. Und dann noch eine Folge von The Americans zu gucken, ach komm, zwei, Wahnsinn, ist diese Serie gut. Zeit dafür, ein zweites Mal in diesem Sommer wegzufahren, ins Haus meiner Eltern in Dänemark, wo es kein Telefon gibt, kein Internet und die einzige Uhr seit 20 Jahren stillsteht, und eine Woche lang Arlo dabei zuzusehen, wie er im Garten seinen Laufwagen von rechts nach links und links nach rechts und rechts nach links schiebt.
Zeit, um jetzt meine Füße in einen Plastikeimer Wasser unterm Schreibtisch zu tauchen und eine Heimpediküre zu machen, dabei die Wiederholung vom Arsenal-Spiel laufen zu lassen und laaaangsam diesen Post zu schreiben. Denn das hier hat mir gefehlt, sehr. Und nachdem ich in Dänemark die ersten drei grauen Haare in meinem Scheitel entdeckt habe (eine andere Geschichte für ein anderes Mal) (außer: gaaaaargh!!!), habe ich mir noch mehr vorgenommen, hier weiterzumachen. Wenn die letzten vier Monate einen Lerneffekt hatten, dann den, nicht ständig das was man liebt, auf Morgen zu verschieben.
Die Bilder sind aus unserem Urlaub auf Mallorca, wo ich nach dem saublöden Gefühl beschloss, kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich keine Bilder mit der Kamera, sondern nur mit dem iPhone mache. Die Prints davon habe ich bei PhotoLove bestellt und liebe sie sehr. Irgendwann werde ich sie in ein Album von Arlos Reisen kleben. Morgen zum Beispiel.
19 Kommentare
cathichou
Bitte bitte nicht mit dem Blog aufhören! Er ist so wunderschön!!! Ich lese dann lieber selten als gar nicht mehr!!!!
natalia | miliaink.com
Ach Marlene, was habe ich Dich hier vermisst und innerlich gespürt, welchen Triathlon du gerade „läuftst“! Auch meine ersten grauen Haare – mitunter sogar stressbedingter Haarausfall – haben mich veranlasst die Notbremste zu ziehen und eine lange Pause einzuläuten. Bis morgens um Drei an Aufträgen zu arbeiten, um dann um 8 Uhr im „Job“ wieder seinen Mann zu stehen, hat nichts mehr mit Berufung zu tun – es ist schlichtweg Irrsinn!
Dieser Sommer war fantasisch und ich bin mit drei Kilo mehr auf den Rippen aus Italien zurückkehrt – glücklich und mit der Einsicht, dass das, was wir hinterlassen, nicht so wichtig ist wie die Art, wie wir gelebt haben.
Jemand hat mal gesagt, die Zeit wäre wie ein Raubtier, das uns verfolgt – ich möchte viel lieber glauben, dass sie mein Gefährte ist!
Liebste Grüße und viel Zeit wünscht dir Natalia
Marlene
„Dass das, was wir hinterlassen, nicht so wichtig ist wie die Art, wie wir gelebt haben.“ Den heb ich mir auf, für immer.
Anni
Oh marlene was für ein schöner Post! Cathichou hat vollkommen Recht: Es wäre sehr schade deinen Blog nicht mehr lesen zu können.
Und steigert es nicht auch die Vorfreude, wenn man länger nichts liest?
Ich hoffe, du kannst deine Zeit jetzt ein bisschen entspannter verbringen und findest vielleicht trotzdem noch ab und zu ein wenig davon für deinen so unglaublich toll zu lesenden Blog 🙂
Theo
Witzigerweise habe ich vor einen paar Tagen gedacht, lange nichts mehr von Spruced im Feed gehabt und dann gedacht: Marlene genießt bestimmt die Zeit mit ihrem Sohn!:-) Schade, dass du nicht nur genossen hast, sondern auch so viel Stress hattest und willkommen zurück. Die meisten meiner liebsten Blogs posten übrigens nicht so oft und ich mag das! Das ist für mich ein Zeichen, dass es tatsächlich ein Leben hinter dem Blog gibt und nicht der Blog der Lebensinhalt ist. Ich finde diesen Anspruch auch immer komisch… Und gerade weil wir nur so wenig von dir lesen, schlägt mein Herz immer ein bisschen schneller, wenn ich sehe, dass es einen Post von dir gibt und ich hebe ihn mir für einen Kaffee aus und nicht schnell nebenbei beim Zähne putzen.;) Das mache ich nur bei ganz wenigen Blogs! Hab einen schönen Tag und sonne dich in unseren „Bitte,bitte, hör nicht auf!“
Lilith
Ich lese deinen Blog schon lange. Habe mich aber noch nie gemeldet. Ich habe oft nach etwas Neuem geschaut und mich so gefreut heute! Mach dich nicht fertig! Du bist toll! Egal, was du entscheidest – für dich – es ist in Ordnung! Auch wenn dein Blog mir sehr fehlen würde! Liebe Grüße
Tine
Auch wenn Dich sehr gut verstehen könnte, bitte hör nicht auf. Ich warte auch gerne geduldig.
Anna
So schön, mal wieder was von Dir zu lesen. Es ist so krass mit Kind und Job, so, so krass! Genau: Rotwein! Viel und öfter!
Nicht aufhören mit dem Blog. Wie alle vor mir gesagt haben: Lieber weniger, aber dann solche Kracher-Einträge!
Verena
Gönn dir dein eigenes Tempo! Ich hatte, als mein zweites Kind 2 Jahre alt war einen Burnout, kam nachts nicht zur Ruhe, auch wenn die Kids geschlafen haben lag ich mit rasendem Kopf wach. Ich hatte Dauerschwindel und ein Magengeschwür sowie das Gefühl, immer nur zu funktionieren.
Ich hab die Reißleine gezogen und meinen Job von 36 auf 28 Stunden reduziert. Mir ist klar, dass du als Freie Autorin wohl nicht so eben reduzieren kannst. Aber was mir sehr viel Atemluft und reelle Zeit geschenkt hat, ist das konsequente Abschalten von Smartphone und Laptop zu bestimmten Zeiten und ein fast komplettes Meiden von Facebook und Instagram, den beiden überflüssigsten Zeitfressern der Neuzeit. Zwischen Kita-Abholung um 17h und 21h bleibt bei uns alles aus. Vorm Schlafen gucke ich noch mal ins Handy, aber es darf nicht ins Schlafzimmer. Ich habe früher zig Blogs verfolgt. Das tue ich nicht mehr. Ich gönne mir Sonntagabends statt Tatort (ist eh oft öde) jetzt 90 Minuten online lesen. Sonst lese ich keine Blogs mehr, außer, es sind Ferien, so wie jetzt! Da surfe ich schon mal tagsüber bewusst und mit Genuss 😉
Das Weglassen von Social Media und Eindämmen der Onlinezeiten ist mir viel leichter gefallen als ich je dachte. Umso lustiger ist es, dass es jetzt teure Workshops für Digital Detox gibt. Einfach Smartphone aus und rausgehen ist mein Tipp!
Lass dich nicht von Erwartungen stressen und mach die Dinge so, wie sie für dich passen!
Verena
PS Graue Haare erscheinen übrigens, anders als viele Menschen glauben, nicht stressbedingt auf unserem Kopf. Etwa 2/3 aller Menschen in Europa findet vorm 40.Lebensjahr die ersten grauen Haare. Das weiß ich von meiner Mama, einer Dermatologin 😉
Also lasse dir keine grauen Haare über die grauen Haare wachsen! Alles voll normal.
Manu
Schön dass du wieder da bist!
Marlene
Ihr Lieben, von Herzen: Danke!
Kurz nachdem ich den Post veröffentlicht hatte, ist WordPress in den Streik getreten. Davon hat man draußen zum Glück nichts mitbekommen, drinnen war ich die letzte Woche mit Verhandlungen beschäftigt. Am Ende hat WordPress eingesehen, dass es besser ist, weiterzumachen.
Aber ich habe jeden Kommentar gelesen, natürlich hab ich das, und bin berührt von eurem Verständnis und Zuspruch. Also noch mal tausend Dank!
Liebst,
Marlene
Anne
…schön das du wieder da bist. Ich fand dein Eintrag super, schade das den Müttern heute soviel Druck gemacht wird, sie sollen schön aussehen, erfolgreich sein, sexy, immer Zeit haben und dabei einen lockeren Spruch auf dem Lippen haben, aber Stopp wofür? Wie haben es unsere Mütter früher gemacht? Meine Eltern haben beide gearbeitet und Karriere gemacht, waren aber nicht 50-60h in der Woche im Büro, wieso hat dies früher geklappt und funktioniert heute nicht, wieso müßen Partner Date Nights verabreden damit sie sich überhaupt noch sehen und sich wieder warnhehmen zwischen all den Bällen die sie gleichzeitig in der Luft halten. Diese Entwicklung bereitet mir Sorge und daher finde ich es toll das du geschrieben hast das nicht alles perfekt läuft. Gib Acht auf dich, kein Projekt kann so wichtig wie deine Gesundheit und deine Lebenszeit sein, die gibt dir keiner zurück und glaub mir im Job sind wir alle ersetzbar, und das ist manchmal gut so, denn so müssen wir nicht alles schaffe und können auch einmal Nein sagen. Es wäre schön wenn du weiterschreibst, aber in deinem Rytmus und für dich und nicht für jemanden dadraußen der nur Erwartungen an dich stellt. Hab einen schönen Spätsommen mit deinen Jungs
Luisa
Direkt aus meinem Herzen geschrieben, mitten in mein Herz getroffen. Danke.
Eva
I so feel you! Du hast ja so Recht.
Es ist einfach so: You can’t have it all. Und dieser ständige Optimierungswahn – der auch mich manchmal von hinten überfällt – geht mir tierisch auf den Keks.
Sich auf die wichtigsten Dinge fokussieren, mal fünfe grade sein lassen, das ist die Kunst.
Alles Gute!
Eva
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