„Komm doch mit“, sagte meine Freundin Miriam letzte Woche, also saßen wir Freitagabend spontan gemeinsam im Huxleys Neue Welt und warteten auf Miranda July, die ihren Roman Der erste fiese Typ vorstellte. Es war eine großartige Lesung, die July am wichtigtuerischen Moderator souverän vorbei manövrierte, man hätte ihr noch stundenlang zuhören können, dieser umwerfend ehrlichen, warmen und sonderbaren Frau. Danach gingen wir weiter in eine Bar, ein Drink noch, dann nach Hause zu unseren Familien. Als wir bestellten, kam eine SMS von Okka: „Guckst du Nachrichten?“
Seitdem denke ich zurück an diesen Freitagabend in Berlin, an dem wir mit vielen hundert Menschen in einem Raum saßen, um einer Schriftstellerin zuzuhören, wie die vielen hundert Menschen, die in Paris ins Bataclan auf ein Konzert gegangen waren und von denen 89 nie wieder nach Hause zu ihren Familien kamen. Ich habe am Samstag sofort die Nachrichten eingeschaltet und wieder aus, Facebook aufgemacht und wieder zu, weil es nicht gegen die große Mutlosigkeit half, die ich nach der ersten Eilmeldung empfand, und mich die Tatortbeschreibungen keiner Erklärung näherbrachten, wie ein Mensch einen anderen Menschen für seine Freude hinrichten kann.
Der nächste Anschlag kommt, sagten sie im Radio, vielleicht in ein paar Tagen oder Wochen. Vielleicht in Berlin. In Hannover. In Beirut. An einer Universität in Kenia. Bei einer Kundgebung in Ankara. Die Opfer sind überall wehrlos, das Ziel ist immer das gleiche: die Freiheit der Menschen anzugreifen, so zu leben wie sie leben wollen. Dieser Terror ist an jedem Ort unerträglich, aber bin auch deshalb am Wochenende irgendwann offline gegangen, weil ich die moralisierenden Trauervergleiche nicht ausgehalten habe. Paris war nicht schlimmer als Beirut. Eine Attacke ist nicht grausamer als die andere, weil sie eigene hashtags bekommt. Es ist eine furchtbare Gewöhnung gegenüber Nachrichten aus bestimmten Teilen der Welt, mit der man die Meldung von einem Selbstmordattentäter in Bagdad überfliegt, und, verständlicherweise, Selbstschutz, weil man sonst vor lauter Leid, jeden Tag, überall, komplett abstumpfen würde. Doch Solidarität zu Paris kann kein Grund zum Vorwurf sein. Vielmehr ein Anlass, mehr darüber wissen zu wollen, in welcher Welt wir leben und was wir dafür tun können, sie besser zu machen. Öffentlich, privat, hashtag, kein hashtag, völlig egal.
Paris hat mich anders getroffen, weil es mir näher ist, geografisch und persönlich. Ich war oft dort und die Stadt hat mir mit jeder Reise schöne Erinnerungen geschenkt. Als meine Freundin Sandra und ich vor einigen Jahren für die Schauen dort waren, war unsere lustige, rotweinselige Mode-WG ein paar Hausnummern vom Bataclan entfernt. Die Patentochter meiner Mama lebt schon lange in Paris und geht oft im 10. Arrondissement aus. Eine alte Freundin war am Freitag im Viertel unterwegs und verbrachte die schlimmsten Stunden eingeschlossen in einem Restaurant. „Ich hatte einfach Glück,“ schrieb sie.
Als ich meinen Laptop am Montag wieder aufklappte, war das Browserfenster mit meinem nächsten Blogeintrag noch geöffnet. Er handelt von Loafers. Darüber kann ich jetzt nichts schreiben, das ist zu banal, wen schert das jetzt, dachte ich, und klickte es weg.
Es kam langsam noch ein anderer Gedanke dazu. Wie dankbar ich dafür sein darf, dass ich eine Stimme habe und wie sehr ich diese Freiheit genießen kann, auch wenn ich sie manchmal nur dazu nutze, um über etwas so Unbedeutendes wie Schuhe zu schreiben. Zerstreuung finden, Spaß haben, das Leben feiern, all das wollten die Menschen, die in Paris zu einem Fußballspiel, auf ein Konzert, ins Restaurant gingen. Am Ende kann ich mich nur gegen die Furcht stemmen, die am Freitagabend auf so brutale und perfide Weise verbreitet wurde und weiter an das Schöne, die Liebe und den Zusammenhalt zu glauben. Weil es keine Alternative gibt.
„Wir werden um unsere Toten trauern,“ hat der Journalist Luc Vaillant in Libération geschrieben. „Doch morgen werden wir einander küssen, wie die abscheulichen Perversen, die wir sind.“
5 Kommentare
Christine
Thanks for your words.
Best wishes from Paris, Christine
Angela Förster
Ich wollte am Freitag nur wissen, wie es steht zwischen Deutschland und Frankreich; schalte um und war fassungslos, als ich die Bilder im Fernseher sah. Ich liebe Paris, habe eine Zeitlang dort gelebt, fühle mich dieser Stadt sehr verbunden…
Einen Tag später war ich im Kino, um mir den neuen Bond anzuschauen. Die erste halbe Stunde war kaum auszuhalten, die schnellen Bilder, die Lautstärke, vor allem: das Geballere…und immer wieder der Gedanke, was wäre, wenn jetzt Maskierte den Saal stürmen…
Die Welt hat sich verändert und ich komme nicht so ganz hinterher.
Aber ich will keine Angst haben, wir dürfen diesen Irren nicht die Macht über unsere Lebensgestaltung überlassen. Das Risiko, auf der Fahrt zu einer Großveranstaltung zu verunglücken, ist vielfach höher, als dass dort ein Terroranschlag verübt wird. Auch jetzt noch.
Und trotzdem muss auch ich mich darin üben, ungute Gefühle beiseite zu schieben.
Angela
Anna
Gute, kluge Worte!
Farbenfreundin (@farbenfreundin)
Ja, auch ich war geschockt. Ich weiß auch immer noch keine Antwort wie ich damit umgehen soll… meine aktuelle Antwort ist, durch Meditationen Frieden und Liebe wenigstens im nahen Umfeld zu manifestieren – in der Hoffnung, dass es sich potenziert und verbreitet.
Peace!
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